Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Dolmetscher oder Ode an die Sprache

Immer häufiger wird während der Kaffeepause dieselbe Frage gestellt: «Haben Sie denn keine Angst vor den ganzen Tools, die dank Künstlicher Intelligenz (KI) bald Ihre Arbeit übernehmen werden?» Eine andere Variante der Frage ist: «Haben Sie schon von dem Knopf im Ohr gehört, der alles sofort in jede beliebige Sprache übersetzt? Das kommt jetzt überall!» Je nachdem und nach Tagesverfassung kann meine Antwort darauf «Ja», «Nein» oder «Je nachdem» sein. Das Thema verdient einen Artikel, und dies nur schon deshalb, damit ich in Zukunft sagen kann: «Ja, das ist sehr interessant, und ich habe sogar einen Artikel darüber geschrieben!»

Ich habe mich lang mit der Frage beschäftigt, ob ich denn nun Angst davor habe oder nicht. So ganz genau weiss ich das nämlich immer noch nicht. Viel wurde und wird über Künstliche Intelligenz, ihre Möglichkeiten, Fähigkeiten und Beschränkungen schon geschrieben. Als Nicht-Fachfrau, die ihre Ängste aus Filmen wie «Terminator» zieht, kann ich da nichts Intelligentes (ob nun künstlich oder natürlich) hinzufügen. Was ich hingegen etwas zu kennen glaube, ist Sprache, dieses lebendige und unbändige Wesen, gemäss Theodor Fontane «das Menschlichste, was wir haben». Die wirkliche Frage ist also schlichtweg: Glauben wir, dass künstliche Intelligenz dieses menschliche Chaos in Algorithmen hineinbändigen kann?

Früher einmal gab es ein gutes Mittel, die Stimmung unter Studenten beim Lernen zu verbessern: wir gingen ins Internet und testeten die zaghaften Versuche der damals bestehenden Übersetzer-Tools. Was uns damals Lachkrämpfe garantierte, hat sich binnen kurzer Zeit unglaublich verbessert; vor allem, wenn dann noch die KI mit ihrem berühmt-berüchtigten Deep-Learning dazu kommt. Verschämt muss ich zugeben, dass auch ich zu denen gehöre, die diverse Übersetzungstools verwenden, wenn auch unter bestimmten Auflagen und Umständen. Nehmen wir doch einmal ein Beispiel:

So einfach geht das also, ein paar Knöpfe werden geklickt, und hopp! – ich kann einpacken und mich auf dem Arbeitslosenamt vorstellen. Auf den ersten Blick. Auf den hin sehe ich einen korrekt übersetzten und verständlichen Text, den man eventuell noch verschönern könnte, aber nicht unbedingt muss.

Soweit so gut, aber gehen wir doch mal einen Schritt zurück und testen etwas mehr und von Anfang an:

Genau wie mit der Spanischen Grippe klappt das also bestens!

Versuchen wir es also erneut, in einer leicht abgeänderten Version:

Auf ersten Blick: wiederum wunderbar!

Aber… dürfen wir hier so einfach vergessen, dass im Deutschen blau nicht immer nur auf die Farbe bezogen wird, sondern gern einmal auch auf einen erhöhten Alkoholspiegel?

Wenn meine Katze nun also schlichtweg zu viel Whisky geschlürft hat, dann ist sie zwar blau, aber dies hat nichts mit ihrer Fellfarbe zu tun. Das Französische hier hingegen spricht hier nur über eine Farbe. Auch wenn es über eine Vielfalt von Begriffen verfügt, um den betrunkenen, «blauen» Zustand meiner verruchten Katze wiederzugeben, würde es dies nicht mit Hilfe einer Farbe tun.

Falls in diesem Fall nun die Wahrscheinlichkeit angezweifelt wird, dass meine Katze sowohl Zugang als auch Verlangen nach Whisky hat, und ergo die Logik der Maschine hervorgehoben wird, hier noch die etwas allgemeinere Version:

Auch wenn es nicht mehr um eine Katze geht, sondern einen männlichen Zeitgenossen, einen «Er», lässt DeepL mich weiterhin ohne Möglichkeit des doppelsinnigen «blau». Falls wir in Versuchung geraten waren, der Maschine logische Fähigkeiten und Wahrscheinlichkeit zu unterstellen, sind wir hiermit davon erlöst.

Versuchen wir noch eine andere Variante, und aus Spass, gleich noch die Google-Translate Version davon auch (an zweiter Stelle):

Hier wird es nun wirklich interessant. DeepL schlägt mir hier tatsächlich keine wortwörtliche Übersetzung vor, sondern erkennt, dass «un bleu» auch die Verletzung sein kann. Nur… was, wenn ich hier tatsächlich über die Farbe spreche?

Freund Google hingegen schlägt mir erstmal eine Verschlimmbesserung anhand einer Cedille vor, die dort nicht hingehört. Davon abgesehen geht er auf die Farbe zurück, und lässt die Verletzung ganz ausser Acht.

An dritter Stelle kann ich nun noch mein eigenes Gehirn in die Schale werfen. «Un bleu» kann nämlich im Französischen auch einen Neuling oder Anfänger bezeichnen (dies erklärt sich durch die Farbe der Uniformen im Militär und geht auf das 19. Jahrhundert zurück, wird aber weiterhin noch verwendet). Wenn ich nun also Google, DeepL und mein Wissen aufliste, könnte der einfache Satz «C’est un bleu» somit mit folgenden Möglichkeiten übersetzt werden:

  • Er/sie/es ist blau
  • Es ist ein blau (zum Beispiel von mehreren Farbtönen)
  • Er/sie/es ist ein-e blaue-s-r (von mehreren Objekten)
  • Es ist eine Prellung
  • Es ist ein blauer Fleck
  • Es ist ein Hämatom
  • Er/es ist ein Anfänger
  • Er ist ein Neuer
  • Er ist ein Neuling
  • Er ist ein Grünschnabel
  • Er ist neu
  • Er kennt sich noch nicht aus

Wie entscheiden wir denn jetzt, welche Version, oder welche zusätzliche Möglichkeit die richtige ist? Was bedeutet «richtig» oder «falsch» noch in diesem Zusammenhang? Und vor allem, wer kann entscheiden?

Die Antworten sind eigentlich einfach: Ich – als Übersetzer und Dolmetscher – entscheide. Was als Konsequenz bedeutet, dass die Maschine nicht entscheidet. Und ich entscheide aufgrund des Zusammenhangs und des Kontexts, welchen die Maschine generell nicht auswerten kann. Somit wird die Rollenverteilung klar aufgeschlüsselt: die Maschine schlägt vor, der Mensch entscheidet, ob der Vorschlag brauchbar ist oder ob weiteres Graben nach anderen Möglichkeiten notwendig ist.

So sind wir also von einem am Anfang sehr brauchbaren und nicht einfachen Beispiel mit gutem Ergebnis zu einem sehr einfachen Beispiel mit… nun ja, etwas weniger gutem Ergebnis gekommen. Was ist denn hier geschehen?

Was wir verstehen müssen, ist die Tatsache, dass mein erstes Beispiel über die Spanische Grippe zwar über einen komplexen Inhalt spricht, dies aber auf absolut lineare Weise tut und jede Doppeldeutigkeit vermieden wird. Das Ergebnis ist somit zwar nicht schön im literarischen Sinn, aber an sich sowohl korrekt als auch verständlich.

Meine anderen Beispiele hingegen sind nur augenscheinlich einfach, da sie einerseits sehr stark vom Zusammenhang abhängen (welcher eine KI nur bedingt einbezieht) und andererseits nicht nur Doppeldeutigkeiten, sondern eher Drei-, Vier oder Multideutigkeiten beinhalten. Diese Beispiele sind keine Ausnahmen, sondern eher die Regel; genau sie machen die Lebendigkeit, Flexibilität und Schönheit von Sprache aus.

Dazu kommt noch die Tatsache, dass Sprache und Texte generell lineares und nicht-lineares, komplexes und einfaches, lebendiges und starres miteinander vermischen und dies von einem Algorithmus weder verstanden noch abgefangen werden kann. So sehen wir vielfach Beispiele, wo die KI ganz gute Ergebnisse liefert und dann plötzlich ein enormer Absturz in Unverständlichkeit und Fehler erfolgt. So werden Sätze abgehackt, aus Gemeinschaften Gemeinden, aus Freisinnigen Freimaurer, aus Leo ein Löwe, aus Grünschnäbeln blaue Flecken… und diese Liste kann beliebig fortgesetzt werden.

Vergessen wir auch diese wunderschönen Fälle nicht:

Wortwörtlich und korrekt übersetzt ist dann eben immer noch nicht richtig. Oder würden Sie wissen, was hier gemeint ist?

NB: Im ersten Beispiel wird der arme Hund wortwörtlich übersetzt, was den Franzosen wohl über seltsame kulinarische Gebräuche der Deutschen, Schweizer und Österreicher staunen lassen würde.
Im zweiten Beispiel geschieht genau das gleiche, nur umgekehrt. Deutschsprachige Leser staunen ob der Freizeitbeschäftigung dieses Mannes, wenn sie nicht wissen, dass «eine Giraffe kämmen» im Französischen ungefähr das gleiche bedeutet wie der Ausdruck, «etwas für die Katz» zu machen.

So gesehen habe ich also weniger Angst vor dem Gang auf das Arbeitslosenamt als vor dem Verlust genau dieser Schönheit und Lebendigkeit. Sollten wir das Menschliche und Lebendige der Sprache be- oder einschränken wollen, enden wir in einem starren und kranken Konstrukt, das vage an Orwells Neusprech erinnern könnte. Zum Glück zeigt uns die Geschichte, dass Versuche der Sprachzähmung bis anhin nur sehr selten funktioniert haben.

Somit haben wir nun die Frage meiner Angst geklärt und ich kann Sie Ihnen zurückspielen. Haben Sie keine Angst davor, dass Ihre maschinelle Übersetzung genau die kritischen Punkte, um die es geht, verpasst oder falsch liefert? Haben Sie keine Angst davor, dass Sie ein erstarrtes, kränklich wirkendes Konstrukt zum Besten geben, wenn Sie einen Text präsentieren? Haben Sie keine Angst davor, dass das, was Sie dank künstlicher Intelligenz einsparen an Übersetzungen Sie am Ende viel mehr kosten wird?

Wenn wir die Regel des «Wort für Wort» ähnlich anwenden wie die Bibel ihr «Auge um Auge», dann bedeutet dies in unserer Welt, dass gemäss Ghandi alle erblinden. Vor Staunen, Lachen, Schaudern oder Unverständnis bleibt dann noch zu sehen – je nachdem, um welchen Text es sich handelt!

Alle Beispiele stammen von www.DeepL.com und www.translate.google.com, Januar 2021

Herzlichen Dank an Jonas Raeber für seine Zeichnungen! www.joonas.ch